Befreiung von Buchenwald: Wer bestimmt, wie wir gedenken?

Der israelische Philosoph Omri Boehm mahnt zur friedlichen Koexistenz in Israel. Nun wurde er auf Druck der Regierung Netanjahu von der Befreiungsfeier des KZ Buchenwalds ausgeladen. War das richtig?
der Freitag, 10. April 2025
>> zum Artikel

Im Fokus der Erinnerung stehen hierzulande meist nur die Opfer, während die Täter:innen in den eigenen Familien meist ausgeblendet bleiben. Die Nazi-Verbrecher, das waren die „Anderen“. Mitunter ist das Gedenken in akademisch oder politisch korrekt gehaltene Reden gegossen, die die familiäre Beteiligung aussparen und die emotionalen Implikationen auf Abstand halten. Ein ritualisiertes Gedenken ohne persönlichen Bezug entkoppelt sich moralisch und intellektuell leicht von der Gegenwart. Dabei geraten die Opfer und die Überlebenden mit ihren Nachkommen zu Objekten, vereinnahmt für die eigene Entlastung. Wie authentisch ist also das, was wir als Gedenkkultur bezeichnen?

Großonkel Pauls Geigenbogen – neu mit Leseprobe

Die Familiengeschichte eines preußischen Sinto
Alexandra SenfftRomeo Franz

>> Leseprobe book2look

Das berührende Memoir einer preußischen Sinti-Familie

Seit mehr als 600 Jahren leben Sinti in Deutschland, Roma seit 200 Jahren. Ihre Kultur reicht viele Jahrhunderte zurück und ist tief mit der deutschen Historie verwoben. Anfangs noch als Handwerker, Künstler und Kaufleute hochgeachtet, wurden sie schon bald systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen und verfolgt. Bis heute halten sich diskriminierende Stereotype und starke Vorurteile gegenüber der größten Minderheit Europas. Der preußische Sinto Romeo Franz kämpft seit Jahrzehnten für die Rechte von Sinti und Roma. In »Großonkel Pauls Geigenbogen« erzählt er seine beeindruckende deutsche Familiengeschichte. Wohl situiert, waren seine Ahnen bereits im 17. Jahrhundert ansässig in Preußen, Schlesien und Pommern und prägten dort die kulturelle und kaufmännische Welt. Mitreißend erzählt Franz die Chronik seiner Familie vom 19. Jahrhundert bis heute. Schillernde Charaktere und außergewöhnliche Schicksale treten ans Licht – aber auch die Erinnerungen an Ausgrenzung, Abwertung im Kaiserreich und schließlich die Vernichtung durch die Nazis.

Mit großem Stolz gibt er tiefe Einblicke in seine Herkunft und beleuchtet nicht nur die Bedeutung von Musik, Familie und Zusammenhalt, sondern auch die Folgen der fortgesetzten Verfolgung, die bis in die heutigen Generationen nachwirken. Romeo Franz‘ Geschichte ist ein bewegendes Plädoyer gegen Antiziganismus und eine Einladung zur Auseinandersetzung und zum Umdenken hin zu etwas ganz Selbstverständlichem: Gleichberechtigung.

Goldmann – Randomhouse/Penguin, 20. März 2024
>> Zum Bestellen
>> Leseprobe book2look

>> mehr

Ignorierte Opfer

Sinti und Roma kämpfen weiter um die Erinnerung an den NS-Völkermord

Dem Historiker Eberhard Jäckel wird nachgesagt, 1995 in Diskussionen über ein zu schaffendes Denkmal für Sinti und Roma gefrotzelt zu haben, dann könne man genauso gut ein Denkmal gegen das Morden vonWalen fordern. Es war auch Jäckel, der noch 2005 insistierte, auf den Denkmalstafeln das »Z-Wort« zu benutzen: »In ihrer 500jährigen Geschichte und auch in der NS-Zeit, auf die es hier ankommt, wurden die Zigeuner niemals und von niemandem ›Sinti und Roma‹ genannt«. Der Historiker wusste offensichtlich nicht, dass Sinti und Roma das Z-Wort untereinander nie benutzen, ja dass dieses Wort in ihrer Sprache, dem Romanes, überhaupt nicht existiert. Er ignorierte auch, dass die Selbstbezeichnung »Sinti und Roma« öffentlich längst etabliert war. Das Z-Wort war von jeher eine Fremdbezeichnung, die die Nazis für ihre Politik der Verfolgung und Vernichtung verwendeten – in Auschwitz tätowierten sie ihren Opfern das Z in die Haut. Bis heute ist es »ein Schimpf- und Schmähwort«, das eine äußerst heterogene Minderheit krude auf einen Nenner reduziert und deren Mitglieder beleidigtund verletzt. Viele »Gadje« (Romanes für Menschen aus der Dominanzgesellschaft) halten rücksichtslos an der Z-Bezeichnung fest, nicht zuletzt, wenn es um ihr Schnitzel oder die ungarische Sauce geht.

Forum Wissenschaft 1/2025 17.03.2025: Umkämpfte Erinnerung?

>> Link zum Heft

Sinti

Opfer zweiter Klasse?

Denkmal für Sinti und Roma Europas vom Bau einer S-Bahn-Trasse bedroht

Ungerührt beschloss der Berliner Senat im Dezember 2023 den Bau der besagten Trasse: Mobilität vor Erinnerung an die Opfer der Nazis. Als handele es sich beim Denkmal der Sinti und Roma um eine beliebige städtische Fläche. Man stelle sich den Aufschrei vor, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wäre auf ähnliche Weise unter Angriff geraten. Sinti und Roma gilt offenbar weniger Respekt.

in: Informationen der Lagergemeinschaft Dachau, Nr. 53/2025, S. 9 f.

Familiengeheimnisse. Gefühlserbschaften der NS-Zeit

Mit meinen Vorstandskollegen und Freund vom Arbeitskreis für Intergenerationelle Folgen des Holocaust, ehem. PAKH, Peter Pogany-Wnendt, trat ich am 2. März 2025 im Theater Mühlheim an der Ruhr auf unter dem Titel „Familiengeheimnisse. Gefühlserbschaften der NS-Zeit“: 

„Das Theater an der Ruhr beschäftigt sich in der aktuellen Spielzeit 2024/25 mit dem Thema Geheimnis. In unserem Rahmenprogramm, das unsere künstlerischen Arbeiten um weiterführende Perspektiven ergänzt, konnten wir am Sonntag, den 2. März die beiden Vorsitzenden des PAKH e.V. Alexandra Senfft und Peter Pogany-Wnendt zu einem intensiven Doppelgespräch im Theaterfoyer begrüßen.
Unter dem Titel „Familiengeheimnisse. Gefühlserbschaften der NS-Zeit“ sind unsere Gesprächsgäste gemeinsam mit dem Publikum in ihre jeweiligen Familiengeschichten vorgedrungen – und haben mit großer Einfühlsamkeit und Offenheit die Notwendigkeit gesprochen, sich der eigenen verborgenen Familiengeschichte zu stellen – und über den Schmerz, der mit diesem Unterfangen oft verbunden ist. Rund um die lange Tafel, die im Foyer aufgebaut war, versammelten sich in einer intimen Gesprächsatmosphäre rund 40 Zuhörerinnen und Zuhörer, die mit großer Aufmerksamkeit Fragen stellten – und deutlich werden ließen, wie groß das Bedürfnis ist, gerade auch in heutigen Zeiten den Geschehnissen der Vergangenheit auf den Grund zu gehen und im Dialog darüber zu bleiben. Das Gespräch wurde von der Dramaturgin Constanze Fröhlich moderiert.“

>> Theater Mühlheim an der Ruhr

Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma Hannovers

… Die Gedenkveranstaltung setzte nicht nur auf eingespielte Rituale. So saßen bei der Diskussion nach der Kranzniederlegung Nachkommen von Opfern und von Tätern gemeinsam auf einem Podium. Der Großvater der Autorin Alexandra Senfft war als NS-Diplomat in der Slowakei für Deportationen mitverantwortlich. „In der Familie ist nie darüber gesprochen worden, was das praktisch bedeutet hat“, sagt sie, „das Schweigen war beredt bei uns“,. Sie hat mehrere Bücher über ihre Familiengeschichte geschrieben, obwohl sie dafür als „Nestbeschmutzerin“ angefeindet wurde. „Wir müssen begreifen, wie eine ganze Gesellschaft an einem Massenmord mitgewirkt hat“, sagt Alexandra Senfft …
zum Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen 4.3.25

Schweigen tut weh

Am Königin Luise Gymnasium Erfurt stellte ich den Schüler:innen Textpassagen aus meinem Buch „Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte“ vor. Die anschließende Diskussion war außerordentlich anregend, die Schüler:innen haben sich bemerkenswert engagiert beteiligt: eine tolle Veranstaltung!

Nachdenkliches über Täterschaft bei Lesung
Am 10.12.2024 hatten wir am Vormittag Alexandra Senfft bei uns in der Aula zu Gast. Die Autorin las den Schülerinnen und Schüler Klassen 10 aus ihrem Buch „Schweigen tut weh“ vor. Darin entfaltet sie die Geschichte ihres Großvaters, der als Mitglied der SA Gesandter des NS-Reichs in der Slowakei war. In den ausgewählten Buchausschnitten aber vor allem in den Antworten auf die vielen interessierten Fragen im Anschluss an die Lesung ging es zudem um die Frage, wie in den vergangenen acht Jahrzehnten – und auch noch heute – mit der Familiengeschichte umgegangen wurde. Die Zuhörenden in der Aula erfuhren eindrücklich, dass gerade das Schweigen immer wieder zu neuem Schmerz führte. Wir bedanken uns bei Frau Senfft für diese interessante Geschichtsstunde!“
https://www.klg-erfurt.de/de/aktuelles__376/

»Familiengeschichte und die Herausforderungen des Erinnerns“

Über meinen Vortrag mit Gespräch an der Fachhochschule Erfurt am 9. Dezember 2024

„Autorin und Publizistin Alexandra Senfft zu Gast an der FH Erfurt 
In dieser Woche, am 09.12.2024, lud die Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften (ASW) der Fachhochschule Erfurt zu einer bewegenden Veranstaltung mit der renommierten Autorin und Publizistin Alexandra Senfft ein. Unter dem Titel „Familiengeschichte und die Herausforderungen des Erinnerns“ sprach sie im Audimax über ihre biografische Arbeit und stellte zentrale Themen ihrer Bücher vor, die sich u.a. mit den Folgen des Holocaust und der NS-Zeit auseinandersetzen.

Alexandra Senfft beleuchtete, wie die Erfahrungen der Vergangenheit nachfolgende Generationen prägen und wie Bildung sowie Dialog helfen können, Vorurteile und Diskriminierung zu überwinden. Besonders eindrucksvoll war ihre Darstellung der Methode des „Storytellings“, die Brücken zwischen den Nachkommen von Täter:innen und Opfern schlägt.

In der Veranstaltung hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre Fragen einzubringen und sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen. Von der Veranstaltung konnten die Studierenden direkt für ihr eigenes Studium partizipieren. Beispielsweise erkundigte sich eine Studentin, wie die eigene Familiengeschichte erforscht werden könne. Die Biografiearbeit spielt als eine der Methoden der Angewandten Sozialwissenschaften eine wichtige Rolle, wenn es um die Analyse, Gestaltung und Verbesserung sozialer Prozesse und Strukturen geht.

Die Veranstaltung bot allen Teilnehmenden wertvolle Impulse, sich mit der eigenen Geschichte und gesellschaftlichen Herausforderungen wie Antisemitismus und Diskriminierung auseinanderzusetzen.“

Alexandra Senfft mit Dozentin Germana Alberti vom Hofe
Foto: Clara Czech, FH Erfurt 

Mein Interview zum Nürnberger Menschenrechtspreis 2025 an den Parents Circle – Families Forum, Israeli Palestinian Bereaved Families for Peace

Der Nürnberger Menschenrechtspreis 2025 geht an die israelisch-palästinensische Versöhnungsinitiative Parents Circle – Families Forum (PCFF). In Bayern 2 spricht Vorstandsmitglied Alexandra Senfft über den deutschen Unterstützerkreis.
Bayerischer Rundfunk, BR2, 27.November 2024
>> Interview anhören

Lesung in Hannover: Großonkel Pauls Geigenbogen

Romeo Franz und ich lasen am 28. November aus unserem Buch „Großonkel Pauls Geigenbogen. Die Familiengeschichte eines preußischen Sinto“ in der VHS Hannover in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Die anschließende Diskussion hatte eine besondere Qualität, bereichert von Rabbiner Dr. Gábor Lengyel, Mario Franz und Jill Strüber von der Niedersächsischen Beratungsstelle Sinti und Roma e.V., Hannover.