Selbstbehauptung nach Auschwitz

Mein Vortrag „Kontinuitäten des Antiziganismus und gesellschaftlicher Dialog“ im Bayerischen Landtag

Zum Gedenktag an den Auschwitz-Erlass von Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942, der zur massiven Deportation deutscher Sinti und Roma führte, hielt ich am 12. Dezember im Bayerischen Landtag das Hauptreferat „Selbstbehauptung nach Auschwitz Kontinuitäten des Antiziganismus und gesellschaftlicher Dialog“.
Engagierte Ansprachen gab es u. a. von Gülseren Demirel (Grüne Bayerischer Landtag), Marian Offmann (SPD-Stadtrat) und Ex-OB München Christian Ude. Beeindruckend auch der Erste Kriminalhauptkommissar Fabian Freese mit seinem Bekenntnis zur Rolle der Polizei in der NS-Zeit und ihrer Verantwortung heute. Organisiert hatte diese beeindruckende Gedenkstunde mit Musik vom Elias Prinz und Nico Franz Quartett das „Madhouse München“. Durch die Moderation führten Madhouse-Chef Alexander Diepold (Vorsitzender der Bundesvereinigung der Sinti und Roma BVSR) und Gaby dos Santos. Als Gäste anwesend waren unter anderem Patricia Koller, Vorsitzende des Behindertenverbands Bayern e. V., und Ernst Grube (Ehrenbürger Münchens und ehem. Präsident der Lagergemeinschaft Dachau). Dank an die Organisator:innen, alle Mitwirkenden und das aufmerksame Publikum für diesen würdevollen und bewegenden Abend!

Foto: Oliver Stey

Großonkel Pauls Geigenbogen – neu mit Leseprobe

Die Familiengeschichte eines preußischen Sinto
Alexandra SenfftRomeo Franz

Großonkel Pauls Geigenbogen ist eine faszinierende Familiensaga und zugleich eine sehr gut geschriebene Geschichtserzählung über das Leben von Sinti und Roma im 20. und 21. Jahrhundert. Das verheerende Ausmaß des während des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes wird durch die persönlichen Geschichten auf berührende Art und Weise deutlich, ebenso die Folgen des bis heute anhaltenden Rassismus gegen die Minderheit und das aktive Engagement der Communitys für ein gleichberechtigtes Leben.“
Karola Fings, Historikerin

Dieses Jahr lesen wir noch in den Gedenkstätten Ahlem und Mauthausen, sowie auf dem Interkulturellen Fest in Freiburg. Weiter Buchungen sind möglich.

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Das berührende Memoir einer preußischen Sinti-Familie

Seit mehr als 600 Jahren leben Sinti in Deutschland, Roma seit 200 Jahren. Ihre Kultur reicht viele Jahrhunderte zurück und ist tief mit der deutschen Historie verwoben. Anfangs noch als Handwerker, Künstler und Kaufleute hochgeachtet, wurden sie schon bald systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen und verfolgt. Bis heute halten sich diskriminierende Stereotype und starke Vorurteile gegenüber der größten Minderheit Europas. Der preußische Sinto Romeo Franz kämpft seit Jahrzehnten für die Rechte von Sinti und Roma. In »Großonkel Pauls Geigenbogen« erzählt er seine beeindruckende deutsche Familiengeschichte. Wohl situiert, waren seine Ahnen bereits im 17. Jahrhundert ansässig in Preußen, Schlesien und Pommern und prägten dort die kulturelle und kaufmännische Welt. Mitreißend erzählt Franz die Chronik seiner Familie vom 19. Jahrhundert bis heute. Schillernde Charaktere und außergewöhnliche Schicksale treten ans Licht – aber auch die Erinnerungen an Ausgrenzung, Abwertung im Kaiserreich und schließlich die Vernichtung durch die Nazis.

Mit großem Stolz gibt er tiefe Einblicke in seine Herkunft und beleuchtet nicht nur die Bedeutung von Musik, Familie und Zusammenhalt, sondern auch die Folgen der fortgesetzten Verfolgung, die bis in die heutigen Generationen nachwirken. Romeo Franz‘ Geschichte ist ein bewegendes Plädoyer gegen Antiziganismus und eine Einladung zur Auseinandersetzung und zum Umdenken hin zu etwas ganz Selbstverständlichem: Gleichberechtigung.

Goldmann – Randomhouse/Penguin, 20. März 2024
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Vortrag NS „Euthanasie“ und Familiengeschichte

Vortrag zur Vernissage von Tendenz Verzerrung von Lena Ditte Nissen über die Geschichte der „Euthanasie“ 80 Jahre nach dem NS-Terror. Dabei spielt auch die Familiengeschichte der Künstlerin eine wichtige Rolle.

Die Videoarbeit TENDENZ VERZERRUNG (42 Minuten) zeigt eine Personengruppe, die in einer performativen Führung über das Gelände des Samariterstifts Grafeneck auf der Schwäbischen Alb leitet. Die Mitglieder der inklusiven Gruppe, die sich Grafenschreck nennt, arbeiten oder wohnen heute an diesem Ort, an dem 1940 die nationalsozialistischen eugenischen Morde begannen und innerhalb eines Jahres mehr als zehntausend Menschen umgebracht wurden. Darunter 407 Kinder und Jugendliche. 

13. November 2025 in Kunstpavillon München

Auszüge aus meiner Rede:
Kinder habe ein untrügliches Gespür für das, was sie gegenüber ihren Eltern ansprechen dürfen und was nicht. Selten betreten sie die ihnen gesetzten Tabuzonen. Nicht nur das Gesagte formt sie zu den Menschen, die sie werden, sondern auch das Schweigen. 

So bleibt das Wesentliche bis zum heutigen Tag viel zu häufig ungesagt, mitunter versteckt hinter „beredtem Schweigen“; gemeint sind damit viele Worte, die verhindern, dass die entscheidenden Fragen gestellt werden: Wie haben sich eigentlich unsere Vorfahren in dieser Zeit verhalten? Es wurde und wird über den schuldhaften Anteil eigener Angehöriger in der NS-Zeit in den meisten deutschen Familien geschwiegen und ebenso in der Öffentlichkeit. Es gab nie wirklich einen Raum fürs Sprechen über die aktive oder passive Beteiligung unserer Vorfahren am riesigen Getriebe des menschenverachtenden, tödlichen Nazi-Systems.  Die Täter:innen, die Schuldigen blieben deshalb meist irgendwelche abstrakten Dritten.

Die Nazis? Das waren die Anderen, nicht unsere Verwandten. Die Erkenntnis, dass sie in Wahrheit aus unserer oft intimsten Mitte kamen, dass es Menschen wie Du und ich waren, die den deutschen Faschismus und Massenmord möglich machten, ist ungeheuerlich und schwer erträglich. 

Was nicht verarbeitet wurde, wird als Auftrag an die Nächsten vermittelt. Leider erfüllen immer mehr Menschen diese Delegationen, indem sie verbal oder physisch gewaltsam werden und sich an rechtsextremem Gedankengut ergötzen. Die AfD, Reichsbürger oder Identitären sind so ein Ergebnis der nicht bearbeiteten deutschen Vergangenheit. Hätten mehr Menschen schon viel früher das Grauen konfrontiert, hätten die Rechtsextremen es schwerer, die Emotionen zu triggern und für sich zu instrumentalisieren…

Jochen Bonz von katho nrw gibt hier meine gesamte Rede auf der Homepage der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen wieder.

Das Ungesagte: Podiumsdiskussion

Zur Filmpremiere des Kinofilms „Das Ungesagte“ war ich am 9. November in Berlin auf zwei Panels mit weiteren Expert:innen, um sich über den Film auszutauschen. Darin kommen Menschen zu Wort, die in der NS-Zeit Kinder und Jugendliche waren und sich erinnern. Die Protagonist:innen erzählen ausführlich über ihre Prägungen und Erfahrungen. Am Ende bleibt dann aber doch vieles ungesagt und unaussprechlich.

Gemeinsames Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma und biografischer Austausch

Als stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreis für Intergenerationelle Folgen des Holocaust, ehem. PAKH.de, trafen ich mich Ende Oktober mit unserem PAKH-Vorstand und Mitgliedern im RomnoKher (Haus der Kultur) des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg in Mannheim. Wir erzählten uns unsere Geschichten, wurden vom Vorsitzenden des Landesverbands, Daniel Strauß, in der Ausstellung „Mari Parmissi“ über die Geschichte der Sinti und Roma informiert und machten einen Spaziergang zu einem Gedenkort für die Mannheimer Sinti, die von den Nationalsozialist:innen ermordet wurden. Es war ein bewegender und intensiver Tag, der den dringend notwendigen, gesellschaftlichen Austausch vorangebracht hat.
Foto: Melody Klibisch

Schweigen tut weh mit Gespräch

Ich las mal wieder aus meinem Buch „Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte“ (2007, classen Verlag, 2008 List/Ullstein Buchverlage) – am 8. Oktober 2025 im Werkraum Schoepflin. Im Anschluss sprach ich vor vollem Haus mit der Werkraum-Leiterin Birgit Degenhardt, Tochter eines in der NS-Zeit politisch Verfolgten. Wir erörterten auch unsere ähnlichen und sehr unterschiedlichen Erfahrungen als Nachkommen der NS-Zeit.

Foto: Jan Novotny, Werkraum Schoepflin

Transgenerationelle Folgen der NS-Zeit: Moderation von Chana Dischereit, Adrian Oeser und Sunny Franz

RomnoKehr (Haus der Kultur), Verband Deutscher Sinti und Roma Landesverband Baden-Württemberg, Mannheim, 28. September 2025 18-20:00 Uhr

Es war eine schöne Veranstaltungen mit Chana Freundlich-Dischereit (Nachkomme jüdischer Überlebender der NS-Zeit), Adrian Oeser (Nachkomme eines NS-Täters) und Sunny Franz (anstelle von Wesley Höllenreiner, Nachkomme von Sinti-Verfolgten der NS-Zeit).

„Erforschung der NS-Vergangenheit: Die Entlastung des eigenen Opas“

80 Jahre nach der Kapitulation häufen sich Texte von Enkel*innen, die ihren NS-Hintergrund recherchiert haben. Was ist dran an der Kritik, es handle sich bei dieser Ahnenforschung nur um „einen frischen Zweig deutscher Identitätskultur“?

Mein Beitrag zur familienbiografischen Recherche über die NS-Zeit
in: der Freitag 24/25 vom 12. Juni 2025

„Wie hätte ich mich damals verhalten?“ – diese Frage galt lange als akademisch. Angesichts der breiten Zustimmung zur AfD ist sie jedoch brandaktuell: „Wie muss ich mich heute verhalten?“ 80 Jahre nach Kriegsende suchen Kinder, Enkel und Urenkel nach Erklärungen in der eigenen Familie: Welche Rolle haben ihre Angehörigen in der NS-Zeit gespielt? Gibt es gute oder schlechte Vorbilder in der eigenen Geschichte? Wie reagiert man adäquat, wenn im eigenen Umfeld menschenverachtende Bemerkungen fallen? Die Eltern und Großeltern haben wenig gesagt, mit ihrem mitunter beredten Schweigen jedoch einen unausgesprochenen Auftrag an ihre Kinder erteilt: Die einen erfüllen ihn, indem sie sich an rechtem Gedankengut ergötzen und gewalttätig werden. Die anderen wollen stattdessen von innen heraus erkunden, wie Faschismus sich in die Seelen brennt. Die Corona-Zeit war nicht nur eine Brutstätte von Viren, sondern auch von Verschwörungstheorien und Umsturzfantasien. Für andere war das keine Option, sondern eine gute Gelegenheit, endlich im Familiennachlass zu kramen und dem familiären Gedächtnis auf den Grund zu gehen. Oft fanden sie Fotos, Dokumente, Orden oder Devotionalien, die eine krass andere Geschichte erzählen als diejenige, die in der Familie kolportiert wurde…“

>> zum Freitag 24/25, 11. Juni 2025

Abschied

Eine Entdeckung aus dem Nachlass von Sebastian Haffner: „Abschied“

Sebastian Haffners jetzt erschienener Roman „Abschied“ fängt in knalligen, gewitzten Sätzen das Lebensgefühl junger Menschen 1931 ein und nimmt die Zukunft vorweg
Meine Rezension des posthum erschienenen Romans von Sebastian Haffner
in: der Freitag 23/25, 4. Juni 2025

„Mademoiselle Gault borgt Raimund ihre Armbanduhr, ein kapriziöses Ding, ständig geht sie nach. Damit kann der Verliebte die Zeit bis zum Abschied aber nicht aufhalten. Franz Frischauer, der schöne Süddeutsche, wird auf nächtlicher Tour seiner feinen Hose verlustig und wacht mit kaltem Hintern in einem Brunnen am Pont-Neuf auf. Er ist sauer auf Paris, drischt naiv Phrasen von Flammenwerfern und vom Kriegmachen. Mr. Andrews bleibt englisch dezent, Horrwitz mit seinem nicht bekannten deutschen Vornamen ist brav. Ob sie ihm Teddy nach dem Abschied abspenstig machen werden?“
>> zur Rezension im Freitag 23/25

Befreiung von Buchenwald: Wer bestimmt, wie wir gedenken?

Der israelische Philosoph Omri Boehm mahnt zur friedlichen Koexistenz in Israel. Nun wurde er auf Druck der Regierung Netanjahu von der Befreiungsfeier des KZ Buchenwalds ausgeladen. War das richtig?
der Freitag, 10. April 2025
>> zum Artikel

Im Fokus der Erinnerung stehen hierzulande meist nur die Opfer, während die Täter:innen in den eigenen Familien meist ausgeblendet bleiben. Die Nazi-Verbrecher, das waren die „Anderen“. Mitunter ist das Gedenken in akademisch oder politisch korrekt gehaltene Reden gegossen, die die familiäre Beteiligung aussparen und die emotionalen Implikationen auf Abstand halten. Ein ritualisiertes Gedenken ohne persönlichen Bezug entkoppelt sich moralisch und intellektuell leicht von der Gegenwart. Dabei geraten die Opfer und die Überlebenden mit ihren Nachkommen zu Objekten, vereinnahmt für die eigene Entlastung. Wie authentisch ist also das, was wir als Gedenkkultur bezeichnen?