Vortrag NS „Euthanasie“ und Familiengeschichte

Vortrag zur Vernissage von Tendenz Verzerrung von Lena Ditte Nissen über die Geschichte der „Euthanasie“ 80 Jahre nach dem NS-Terror. Dabei spielt auch die Familiengeschichte der Künstlerin eine wichtige Rolle.

Die Videoarbeit TENDENZ VERZERRUNG (42 Minuten) zeigt eine Personengruppe, die in einer performativen Führung über das Gelände des Samariterstifts Grafeneck auf der Schwäbischen Alb leitet. Die Mitglieder der inklusiven Gruppe, die sich Grafenschreck nennt, arbeiten oder wohnen heute an diesem Ort, an dem 1940 die nationalsozialistischen eugenischen Morde begannen und innerhalb eines Jahres mehr als zehntausend Menschen umgebracht wurden. Darunter 407 Kinder und Jugendliche. 

13. November 2025 in Kunstpavillon München

Auszüge aus meiner Rede:
Kinder habe ein untrügliches Gespür für das, was sie gegenüber ihren Eltern ansprechen dürfen und was nicht. Selten betreten sie die ihnen gesetzten Tabuzonen. Nicht nur das Gesagte formt sie zu den Menschen, die sie werden, sondern auch das Schweigen. 

So bleibt das Wesentliche bis zum heutigen Tag viel zu häufig ungesagt, mitunter versteckt hinter „beredtem Schweigen“; gemeint sind damit viele Worte, die verhindern, dass die entscheidenden Fragen gestellt werden: Wie haben sich eigentlich unsere Vorfahren in dieser Zeit verhalten? Es wurde und wird über den schuldhaften Anteil eigener Angehöriger in der NS-Zeit in den meisten deutschen Familien geschwiegen und ebenso in der Öffentlichkeit. Es gab nie wirklich einen Raum fürs Sprechen über die aktive oder passive Beteiligung unserer Vorfahren am riesigen Getriebe des menschenverachtenden, tödlichen Nazi-Systems.  Die Täter:innen, die Schuldigen blieben deshalb meist irgendwelche abstrakten Dritten.

Die Nazis? Das waren die Anderen, nicht unsere Verwandten. Die Erkenntnis, dass sie in Wahrheit aus unserer oft intimsten Mitte kamen, dass es Menschen wie Du und ich waren, die den deutschen Faschismus und Massenmord möglich machten, ist ungeheuerlich und schwer erträglich. 

Was nicht verarbeitet wurde, wird als Auftrag an die Nächsten vermittelt. Leider erfüllen immer mehr Menschen diese Delegationen, indem sie verbal oder physisch gewaltsam werden und sich an rechtsextremem Gedankengut ergötzen. Die AfD, Reichsbürger oder Identitären sind so ein Ergebnis der nicht bearbeiteten deutschen Vergangenheit. Hätten mehr Menschen schon viel früher das Grauen konfrontiert, hätten die Rechtsextremen es schwerer, die Emotionen zu triggern und für sich zu instrumentalisieren…

Jochen Bonz von katho nrw gibt hier meine gesamte Rede auf der Homepage der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen wieder.