Besprechung von 01.07.2008
Sari Nusseibeh – ein Palästinenser, der noch immer auf die Vernunft im Nahen Osten setzt
Das Titelbild zeigt einen hübschen Jungen in Shorts. Tauben fütternd lächelt er in die Kamera, in weiter Ferne das Land, das Meer – Sari Nusseibeh in Jerusalem, im Hintergrund Palästina. „Damals, fünfzig Jahre zuvor, war die Welt noch heil und ganz gewesen, erfüllt vom süßen Duft der Orangenblüten”, erinnert er sich an die unbeschwerten Kindertage. Auf dem Foto im Klappentext blickt der 59-jährige Philosophieprofessor und Präsident der palästinensischen Al-Quds-Universität ernsthaft drein. Zwischen beiden Fotos steht die Chronik von Nusseibehs Leben „in einem zerrissenen, geschundenen Land”. Es ist eine streckenweise traurige, niemals aber larmoyante Erzählung, gespickt mit Humor und klugen Analysen.
Das Titelbild zeigt einen hübschen Jungen in Shorts. Tauben fütternd lächelt er in die Kamera, in weiter Ferne das Land, das Meer – Sari Nusseibeh in Jerusalem, im Hintergrund Palästina. „Damals, fünfzig Jahre zuvor, war die Welt noch heil und ganz gewesen, erfüllt vom süßen Duft der Orangenblüten”, erinnert er sich an die unbeschwerten Kindertage. Auf dem Foto im Klappentext blickt der 59-jährige Philosophieprofessor und Präsident der palästinensischen Al-Quds-Universität ernsthaft drein. Zwischen beiden Fotos steht die Chronik von Nusseibehs Leben „in einem zerrissenen, geschundenen Land”. Es ist eine streckenweise traurige, niemals aber larmoyante Erzählung, gespickt mit Humor und klugen Analysen.
Die Nusseibehs gehören zur alteingesessenen Oberschicht Jerusalems. Saris Vorfahren waren Richter, Gelehrte, Großgrundbesitzer und Hüter des Schlüssels zur Grabeskirche. Das war eine Elite, die im Laufe des vergangenen Jahrhunderts an Einfluss verlor – bis auf der Straße die hoffnungslose Generation der Intifada-Kids den Ton angab. Saris Vater war Politiker und Minister, zeitweilig auch Jordaniens Botschafter in London. Für den Sohn war der weltoffene Mann ein Vorbild. Das Studium in Oxford in den 60er Jahren, vor allem aber der Sechstagekrieg 1967 weckten sein politisches Interesse. In London diskutierte er nächtelang mit seinen arabischen und israelischen Freunden. Dem damals noch naiven, kettenrauchenden Studenten mit dem Wuschelkopf war nicht anzusehen, dass er einmal zu den wichtigsten Intellektuellen Palästinas und Verhandlungspartnern der Israelis zählen würde, der 2003 den Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte erhielt.
Nach seiner Promotion in Harvard kehrte er 1978 mit seiner englischen Frau Lucy, einer Altphilologin, nach Jerusalem zurück und nahm eine Dozentenstelle an der Bir-Zeit-Universität auf der West Bank an. Er träumte von einer palästinensisch-israelischen Koexistenz und schloss Freundschaft mit Amos Oz. Dem entsprach, dass er gleichzeitig an der Hebräischen Universität unterrichtete. Das Pendeln zwischen den beiden so eklatant auseinanderklaffenden Welten wurde für ihn zum „Balanceakt”. Als ein Soldat bei einer Straßenkontrolle den Gewehrlauf durch sein Autofenster schob, um seinen Pass einzufordern, beschloss er, die israelische Stelle zu kündigen. Dieser junge Mann, der meine Landsleute unterdrückt, hätte mein Student sein können, sagte er sich, und „diesen Widerspruch konnte ich nicht ertragen”.
Widersprüche und Ambivalenzen hat Nusseibeh jedoch viele ertragen. Gerade das macht sein Buch so lesenswert und ermutigend. Der polyglotte Querdenker ist ein Pendler zwischen den verfeindeten Seiten geblieben. Seine Memoiren sind beispielhaft für jene friedensbereiten Palästinenser, die es eben auch gibt. Nusseibeh verfällt nie in die Rolle des Opfers, er benennt auch schonungslos die Fehler der eigenen Seite. Gegenüber Arafat und der PLO bewahrt er sich eine kritisch-freundliche Distanz. Als ihm ein Trupp islamistisch gesinnter Studenten wegen seiner Gespräche mit den Israelis niederschlug, verkündete er auf einer Kundgebung der israelischen Friedensbewegung „Peace Now” unbeeindruckt, er halte an einer friedlichen Lösung fest: „Das können sie nicht aus mir herausprügeln, sagte ich und erntete Beifallsstürme.”
Seinem Standpunkt, dass Palästinenser und Israelis sich verbünden müssten, anstatt gemeinsam unterzugehen, blieb er treu. Dabei hätte er reichlich Anlass gehabt, sich zu radikalisieren: Der israelische Geheimdienst beschattete und verhörte ihn während der ersten Intifada, denn er gehörte zu den führenden Köpfen des Aufstands. Seine Untergrundaktivitäten bekennt Nusseibeh ganz offen – Flugblätter, Kassiber, Geldschmuggel. Während des Golfkriegs 1991 verbrachte der Vater dreier Kinder sechs Monate in Haft, ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Freunde und Mitstreiter wurden gefoltert, des Landes verwiesen oder liquidiert. „Was die Militärstrategen wohl geradezu verrückt machte, war die Tatsache, dass die stärksten Waffen des Feindes nicht Bomben oder hasserfüllte Rhetorik waren, denen man mühelos hätte entgegentreten können, sondern ziviler Ungehorsam.” Gerade die Gemäßigten, die auf die Aufständischen besänftigend einwirken konnten, wurden beseitigt, bemerkt Nusseibeh wiederholt. Und weil Worte sehr viel bedrohlicher sein können als körperliche Gewalt, dämonisierten rechte Israelis zeitweilig auch ihn als „das lächelnde Gesicht des Terrors”. Dabei hatte er in den Osloer Friedensverhandlungen und auch bei anderen wichtigen Initiativen zur Lösung des Konflikts eine bedeutende Rolle gespielt.
Als 2001 Ariel Scharon die Regierung übernahm, war Gewalt bereits der bestimmende Faktor. Die zweite Intifada war ein „blutiges Fiasko”, sagt Nusseibeh, der zu jenem Zeitpunkt Statthalter der PLO in Jerusalem war. Er zeigt, wie der aggressive Bau jüdischer Siedlungen, der Raub palästinensischen Bodens und die Entstehung der „Trennmauer” – die Palästinenser sagen „Apartheidmauer” – ebenso wie der Terror, die Stümperhaftigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde und die Korrumpierbarkeit vieler ihrer Funktionäre die Region in eine schier ausweglose Situation manövrierten. „Die Hamas und der Scharonismus sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beide schlagen die Tür zum Dialog zu.”
Trotzdem sei der Beginn der Friedensgespräche 1991 „ein historischer Durchbruch” gewesen, sagt Nusseibeh unbeirrt. Die Palästinenser müssten ihren Traum von der Rückkehr und die Israelis den von Groß-Israel aufgeben. „Vernünftige Menschen finden immer leicht einen Kompromiss, wenn ihnen die wichtigsten Anliegen der anderen Seite bewusst sind.” ALEXANDRA SENFFT
Nach seiner Promotion in Harvard kehrte er 1978 mit seiner englischen Frau Lucy, einer Altphilologin, nach Jerusalem zurück und nahm eine Dozentenstelle an der Bir-Zeit-Universität auf der West Bank an. Er träumte von einer palästinensisch-israelischen Koexistenz und schloss Freundschaft mit Amos Oz. Dem entsprach, dass er gleichzeitig an der Hebräischen Universität unterrichtete. Das Pendeln zwischen den beiden so eklatant auseinanderklaffenden Welten wurde für ihn zum „Balanceakt”. Als ein Soldat bei einer Straßenkontrolle den Gewehrlauf durch sein Autofenster schob, um seinen Pass einzufordern, beschloss er, die israelische Stelle zu kündigen. Dieser junge Mann, der meine Landsleute unterdrückt, hätte mein Student sein können, sagte er sich, und „diesen Widerspruch konnte ich nicht ertragen”.
Widersprüche und Ambivalenzen hat Nusseibeh jedoch viele ertragen. Gerade das macht sein Buch so lesenswert und ermutigend. Der polyglotte Querdenker ist ein Pendler zwischen den verfeindeten Seiten geblieben. Seine Memoiren sind beispielhaft für jene friedensbereiten Palästinenser, die es eben auch gibt. Nusseibeh verfällt nie in die Rolle des Opfers, er benennt auch schonungslos die Fehler der eigenen Seite. Gegenüber Arafat und der PLO bewahrt er sich eine kritisch-freundliche Distanz. Als ihm ein Trupp islamistisch gesinnter Studenten wegen seiner Gespräche mit den Israelis niederschlug, verkündete er auf einer Kundgebung der israelischen Friedensbewegung „Peace Now” unbeeindruckt, er halte an einer friedlichen Lösung fest: „Das können sie nicht aus mir herausprügeln, sagte ich und erntete Beifallsstürme.”
Seinem Standpunkt, dass Palästinenser und Israelis sich verbünden müssten, anstatt gemeinsam unterzugehen, blieb er treu. Dabei hätte er reichlich Anlass gehabt, sich zu radikalisieren: Der israelische Geheimdienst beschattete und verhörte ihn während der ersten Intifada, denn er gehörte zu den führenden Köpfen des Aufstands. Seine Untergrundaktivitäten bekennt Nusseibeh ganz offen – Flugblätter, Kassiber, Geldschmuggel. Während des Golfkriegs 1991 verbrachte der Vater dreier Kinder sechs Monate in Haft, ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Freunde und Mitstreiter wurden gefoltert, des Landes verwiesen oder liquidiert. „Was die Militärstrategen wohl geradezu verrückt machte, war die Tatsache, dass die stärksten Waffen des Feindes nicht Bomben oder hasserfüllte Rhetorik waren, denen man mühelos hätte entgegentreten können, sondern ziviler Ungehorsam.” Gerade die Gemäßigten, die auf die Aufständischen besänftigend einwirken konnten, wurden beseitigt, bemerkt Nusseibeh wiederholt. Und weil Worte sehr viel bedrohlicher sein können als körperliche Gewalt, dämonisierten rechte Israelis zeitweilig auch ihn als „das lächelnde Gesicht des Terrors”. Dabei hatte er in den Osloer Friedensverhandlungen und auch bei anderen wichtigen Initiativen zur Lösung des Konflikts eine bedeutende Rolle gespielt.
Als 2001 Ariel Scharon die Regierung übernahm, war Gewalt bereits der bestimmende Faktor. Die zweite Intifada war ein „blutiges Fiasko”, sagt Nusseibeh, der zu jenem Zeitpunkt Statthalter der PLO in Jerusalem war. Er zeigt, wie der aggressive Bau jüdischer Siedlungen, der Raub palästinensischen Bodens und die Entstehung der „Trennmauer” – die Palästinenser sagen „Apartheidmauer” – ebenso wie der Terror, die Stümperhaftigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde und die Korrumpierbarkeit vieler ihrer Funktionäre die Region in eine schier ausweglose Situation manövrierten. „Die Hamas und der Scharonismus sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beide schlagen die Tür zum Dialog zu.”
Trotzdem sei der Beginn der Friedensgespräche 1991 „ein historischer Durchbruch” gewesen, sagt Nusseibeh unbeirrt. Die Palästinenser müssten ihren Traum von der Rückkehr und die Israelis den von Groß-Israel aufgeben. „Vernünftige Menschen finden immer leicht einen Kompromiss, wenn ihnen die wichtigsten Anliegen der anderen Seite bewusst sind.” ALEXANDRA SENFFT
SARI NUSSEIBEH (mit Anthony David): Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Katharina Förs und Thomas Wollermann. Antje Kunstmann Verlag, München 2008. 528 S., 24,90 Euro.SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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