Women Wage Peace, Israel / Palestine
Internationaler Bremer Friedenspreis 2019 der Stiftung die schwelle
Rathaus Bremen, 15. November 2019
Shalom, liebe Eti, Salamat, liebe Jullet!
Ich freue mich sehr, dass Sie beide heute für Women Wage Peace den Friedenspreis 2019 der Stiftung die schwelle entgegennehmen und ihre Bewegung hier in Bremen vorstellen.
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,
lernen Sie zwei mutige, ungewöhnliche Frauen kennen: Eti Livni, jüdische Israelin aus Tel Aviv, Rechtsanwältin, ehemaliges Knesset-Mitglied – und Julliet Kahwaji, palästinensische Israelin aus Akko, Arabisch-Lehrerin, Pädagogin. Bei allen Verschiedenheiten haben sie vieles gemeinsam: Beide sind Mediatorinnen, Frauenaktivistinnen und Mütter von jeweils drei Kindern. Besonders aber verbindet sie das Streben nach Frieden im Nahen Osten als Mitglieder von Women Wage Peace.
„Frauen führen Frieden“, so die wortwörtliche Übersetzung, und das ist, unübersehbar, das Antonym zu „Männer führen Krieg“. WWP ist eine seit 2014 rasch wachsende Basisbewegung, der sich mittlerweile fast 50.000 Menschen angeschlossen haben. WWPs Mitstreiterinnen agieren zwar politisch, aber gezielt unparteiisch, fern von Kategorien wie Links, Mitte oder Rechts. Sie engagieren sich über alle Grenzen hinweg: konfessionelle, ethnische, politische, ideologische oder kulturelle, unabhängig von Herkunft, sexueller Orientierung, Ausbildung oder gesellschaftlicher Position. Unermüdlich setzen sie sich dafür ein, dass Friedensverhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis wieder aufgenommen – und dass, gemäß der UNO Resolution 1325, Frauen in die Verhandlungen mit einbezogen werden. Sie fordern, dass diplomatische Möglichkeiten stets zuerst ausgeschöpft werden, bevor wie üblich, fast automatisch, Krieg geführt wird – und sie haben eine entsprechende Gesetzesinitiative in der Knesset eingereicht. Um die verhärteten Fronten aufzuweichen und eine möglichst breite Basis von Frauen anzusprechen, beziehen WWP ansonsten bewusst keine expliziten Standpunkte. Sie formulieren auch nicht, WIE eine politische Lösung aussehen sollte. Sie fordern allein, DASS es eine Lösung geben muss. „Vage zu bleiben ist unsere Stärke“, so eine Mitstreiterin.
Da ich aus einer ganz anderen Perspektive heraus spreche, erlaube ich mir, allein schon durch meine Wortwahl und Wertungen, spezifische Standpunkte einzunehmen, obwohl ich weiß, dass manche Frauen in WWP diese nicht teilen würden. Doch unparteiisch und vage zu sein, ist eben nicht die einzige Stärke von WWP, sondern auch, unterschiedliche Ansichten auszuhalten. Es sollte uns hier im Rathaus indes allen klar sein, dass unsere Empathie – insbesondere als Deutsche vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen und deren Folgen bis in die Gegenwart –, dass unsere Unterstützung beiden, Israelis und Palästinensern zugleich und in gleichem Maße, zuteil werden muss. Wer sich einseitig positioniert und nur für eine Seite des Konflikts stark macht, trägt zur Verbreitung von Feindbildern und Hass bei. Frieden zu fördern heißt, sich für jede und jeden einzusetzen, der Frieden will und dafür konstruktiv, auch gegen eigene innere Widerstände, arbeitet. Das genau begründet auch die Preisvergabe, um die es heute geht.
Das will ich in einen Kontext setzen und hier etwas ausholen: „Shalom Achshav“, Frieden Jetzt, so heißt die Friedensbewegung, die sich 1978 gründete, als Ägypten und Israel Frieden schlossen – ein kalter Frieden, der bis heute hält. Zwischen Israelis und Palästinensern will jedoch keinerlei Ruhe einkehren. Von „Shalom Achshav“, einst einer breiten Bewegung, ist unterdessen schon lange nicht mehr viel zu hören, und auch um andere Nichtregierungsorganisationen ist es still geworden. Nach der Ersten Intifada, dem Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung, und dem Golfkrieg von 1991, kam es 1993 zu den Osloer-Friedensverträgen. Die Umsetzung dieser Interimslösungen waren jedoch begleitet vom andauernden Bau jüdischer Siedlungen auf besetztem, palästinensischem Gebiet und von Terroranschlägen palästinensischer Extremisten gegen israelische Zivilisten. Die ersten feinen Triebe von Vertrauen waren schnell zertreten.
„Wir bekämpfen den Terror als gäbe es keinen Frieden und machen Frieden als gäbe es keinen Terror“, erklärte Premierminister Jitzhak Rabin. Er war überzeugt, dass Israelis und Palästinenser sich räumlich scharf trennen müssten. Deshalb wurde die Zahl palästinensischer Tagelöhner in Israel drastisch eingeschränkt und der sogenannte Sicherheitszaun gebaut, der monströs durch die wunderschöne Landschaft mäandert und quer durch Wohngebiete schneidet. Die Mauer führte zur weiteren Entfremdung: Mangels alltäglichen menschlichen Kontakts wurde der Nachbar auf der anderen Seite der Barriere immer mehr zum Feind beziehungsweise zum Feindbild: Denn Unkenntnis macht unsicher und ängstlich, und so entstehen oder verhärten sich Vorurteile und Klischees.
Am 4. November 1995, vor genau 24 Jahren, wurde Jitzhak Rabin von einem israelischen Fanatiker ermordet. Das markierte den Anfang vom Ende jeglicher Annäherung. In dem Maße, in dem die Menschen durch Verwaltungszonen, Zäune, Sicherheitsstraßen und militärische Checkpoints getrennt wurden, wuchsen auch das Misstrauen, die Vorbehalte, die Resignation, die Apathie. Der Zusammenbruch der Camp David Verhandlungen im Jahr 2000, zu dem alle beteiligten Parteien beigetragen hatten, stellte einen weiteren negativen Wendepunkt dar. Israels Premierminister Ehud Barak beschuldigte aber allein die Palästinenser und gab die Losung aus, es gebe keinen palästinensischen Partner zum Verhandeln. Diese Mär, genährt von Medien und Politikern, setzte sich durch, und weitere Verhandlungsansätze verliefen im Sand.
Tatsächlich hatte der gescheiterte Oslo-Prozess das Wort Friede so entwertet, dass es nur noch wenige ernsthaft in den Mund nehmen wollten.
Zwischen Israel und der Westbank besteht seither ein Status Quo des überwiegend kontrollierten Unfriedens. Der für uns sichtbare Kontakt zwischen Palästinensern und Israelis zeigt sich an den Scharmützeln und verheerenden Kriegen, die 2008/2009, 2012 und 2014 zwischen der islamistischen Hamas im Gazastreifen und der israelischen Armee ausgefochten wurden. Wie es auch gegenwärtig leider wieder der Fall ist. Die Opfer sind überwiegend Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder.
Der Gazakrieg von 2014 mit über 2000 toten Palästinensern und 73 toten Israelis ließ bei vielen Frauen, verängstigt, besorgt, empört, das Fass überlaufen: Genug ist genug! Dutzende Friedensaktivistinnen machten sich als Initiatorinnen von WWP auf, das Wort Friede wieder in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Sie wollen ihre Kinder nicht mehr in Kriege schicken, sondern ihnen eine Zukunft in Sicherheit ermöglichen. Sicherheit, so sagen sie, entsteht nicht durch Zäune, Mauern und mit Waffen, sondern durch Bildung, Gerechtigkeit und das Empowerment von Frauen, die zum Frieden beitragen – auf der grassroots Ebene und am Verhandlungstisch. Und durch Vertrauen.
Im ersten Jahr organisierten die Frauen den Friedenszug, eine Bahnfahrt durch Israel, der sich 1000 Frauen anschlossen. 2015 gingen sie bei 40 Grad Hitze in Schichten 50 Tage in einen Hungerstreik und diskutierten mit Sympathisanten und Gegnern. 2016 wanderten sie zwei Wochen quer durch Israel, der „Marsch der Hoffnung“, an dem 30.000 Frauen und Männer, Israelis, Palästinenser und Araber, teilnahmen. 2017 mobilisierten sie abermals Tausende für die „Reise zum Frieden“ und wanderten von Nord nach Süd. 2018 stellten sie das „Mütterzelt“ gegenüber der Knesset auf und brachten die Initiative „Politische Alternativen Zuerst“ ein, um diplomatische Bemühungen zur Alternative für Krieg zu machen.
Dezentral und nicht hierarchisch organisiert, demonstrieren die Aktivistinnen regelmäßig vor der Knesset, sie machen Workshops, Vorträge, Veranstaltungen. Ihre Aktivitäten sind oft begleitet vom gemeinsamen Singen, vereint durch die Kraft der Musik. Bei einem der Höhepunkte sangen die israelische Sängerin Yael Deckelbaum und die palästinensische Musikerin Meera Eilabouni gemeinsam das Hallelujah von Leonard Cohen auf Hebräisch und Arabisch. Deckelbaums „Gebet der Mütter“, das sie für den „Marsch der Hoffnung“ 2016 schrieb, inspiriert mittlerweile viele friedensbewegte Menschen in der Welt.
Die Frauen von WWP verwandeln ihren Schmerz, ihre Traumata und Ängste in konstruktive Aktion. Sie verschaffen ihren gegensätzlichen Narrativen Raum durch „radikales Zuhören“ und geben sich gegenseitig die Möglichkeit, sich zu zeigen, ohne das Narrativ der Anderen zu delegitimieren. Sie verfallen nicht in das übliche destruktive Muster, gegeneinander aufzuwiegen, wer von beiden Seiten mehr gelitten hat, wer Opfer oder Täter ist. Sie meiden Beleidigungen und Schuldzuweisungen, weil diese jeglichen Dialog behindern.
Die Frauen von WWP lehnen es ab, sich weiter als Opfer zu fühlen und übernehmen Verantwortung. „Wir sind nicht das Blatt im Wind, sondern der Baum“, so eine der Aktivistinnen. Sie überwinden ihre jeweilige Einsamkeit, indem sie sich solidarisch zusammentun und für etwas streiten, anstatt gegeneinander. Aus ihrer Sicht gibt es sehr wohl Partner für den Frieden. „Wahrer Friede bedeutet, dass man anerkennt, dass der Andere anders ist, nicht dass er uns ähnelt“, sagte der Pionier des Dialogs in Konfliktsituationen, Dan Bar-On.
Freilich gilt es dabei eigene innere Hürden, Widerstände und widrige äußere Umstände zu überwinden und sich stets bewusst zu machen, dass zwischen Palästinensern und Israelis ein asymmetrisches Verhältnis besteht. Das schafft Spannungen, und für beide Seiten ist es eine große Herausforderung, einen „Dialog unter Beschuss“, wie Bar-On es nannte, zu führen. Denn die Atmosphäre von Boykott und anti-Boykott Boykott, von Hass, Vorurteilen und hoher Gewaltbereitschaft rundherum, oft auch im eigenen Haus, machen den Einsatz für viele Frauen zum Risiko. Unter Premierminister Bibi Netanjahu und seinen rechten und nationalreligiösen Koalitionspartnern hat sich die Stimmung im Land zunehmend polarisiert. Es herrscht eine Politik der Spaltung. Friedensbewegte Menschen, zivilgesellschaftliche Initiativen und NGOs sind verunglimpft und marginalisiert worden. Durch das Nationalstaatsgesetz von 2018, welches allein Juden das nationale Selbstbestimmungsrecht einräumt, sind 20 Prozent der arabischen und palästinensischen Bevölkerung Israels offiziell zu Bürgern zweiter Klasse degradiert worden. Und welche Partei außer der Vereinigten Liste spricht heute noch von Frieden und fordert Verhandlungen? Friedensverhandlungen stehen auch nicht mehr vorrangig auf der internationalen Agenda in einer Welt der zunehmenden Polarisierung, und von den immer wieder aufgeschobenen Vorschlägen der Trump-Regierung erwarten sich nur wenige eine Lösung – falls ein Friedensplan überhaupt vorgelegt werden sollte.
Umso wichtiger ist die Botschaft von Liebe, Hoffnung und Friede, die WWP aussendet, um die Atmosphäre und den Diskurs positiv zu beeinflussen. Vereinen, nicht spalten, lautet das Motto. Doch das braucht seine Zeit. And there is a way. Yes, there is.
Möge dieser Preis Sie, liebe Jullet und Eti, stellvertretend für WWP, ermutigen, weiterzumachen: zäh, unbeirrt, eigensinnig, selbstbestimmt, weiblich, klug, kreativ. Auch wenn die Saat jetzt noch nicht aufgegangen ist, so ist sie doch gesät. Der Tag wird kommen, an dem Ihre Bemühungen von unten, von der Gesellschaft, ihre Erwiderung von oben durch die Politik erfahren werden.
„Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt“, sagte der deutsche Philosoph Ernst Bloch. Das Prinzip Hoffnung soll Sie weiterleiten und inspirieren. Wir wollen sie auf diesem Weg emphatisch begleiten. Be’ahavá, bil-Hub. Mit Liebe.
Shukran jazilan, toda raba. Vielen Dank.